Asynchrone Fernbehandlung – Ein Modell mit Zukunft!

Teil 1: Software als Medizinprodukt 

In den letzten Jahren hat sich insbesondere durch die COVID-19-Pandemie der Bedarf an kontaktlosen Behandlungsmethoden erheblich verstärkt. Dadurch hat die Telemedizin und die Fernbehandlung an Bedeutung gewonnen. Telemedizin bezeichnet die Nutzung von Telekommunikationstechnologien, um medizinische Informationen und Dienstleistungen über räumliche Entfernungen hinweg bereitzustellen. Die Fernbehandlung ist die hierüber stattfindende Medizin. 

Zu den wesentlichen Formen der Telemedizin gehören die synchrone und asynchrone Fernbehandlung. Die synchrone Fernbehandlung ermöglich eine Echtzeit-Kommunikation zwischen Patienten und medizinischem Fachpersonal durch Videokonferenzen, Telefonate und Live-Chats. Diese Methode eignet sich besonders für akute medizinische Fragen und unmittelbare Beratungen. Im Gegensatz dazu erfolgt die asynchrone Fernbehandlung zeitversetzt, was bedeutet, dass beide Parteien nicht gleichzeitig verfügbar sein müssen. Bei einer asynchronen Fernbehandlung initiiert der Patient den Behandlungsprozess, indem er den Gesundheitsdienstleister über eine spezielle Plattform, App oder per E-Mail kontaktiert und seine Anfrage stellt. Nachdem der Patient relevante Gesundheitsinformationen bereitgestellt hat, überprüft der Arzt diese sorgfältig und gibt dann seine Diagnose, Behandlungsempfehlung oder weitere Schritte an den Patienten zurück. Der Zeitraum, in dem sich der Arzt zurückmeldet, variiert je nach der Art der Behandlung und den individuellen Umständen des Patienten. Möglicherweise kann ein Follow-Up erforderlich sein, um den Fortschritt zu überprüfen oder zusätzliche Fragen zu klären.  

Beide Formen der Fernbehandlung basieren auf einer Software, die den Austausch zwischen Patienten und medizinischem Dienstleister ermöglicht. In der synchronen Fernbehandlung fungiert die Software überwiegend als Übertragungsmedium für die direkte Interaktion zwischen Patienten und medizinischem Fachpersonal. Sie bietet grundlegende Funktionen wie Video- und Audioübertragung sowie gegebenenfalls Chat oder Datenfreigabe. Der Schwerpunkt liegt hier auf unmittelbarer Kommunikation, um eine zügige Diagnose und Behandlung zu gewährleisten. 

Im Unterschied dazu bietet die asynchrone Fernbehandlung eine erweiterte Nutzung der Software. Während sie weiterhin als Übertragungsmedium fungiert, ermöglicht sie auch den Austausch von Nachrichten sowie das Hochladen und Speichern von Dateien wie Bilder oder Berichte. Zusätzlich können Funktionen wie Symptomanalyse, Diagnoseunterstützung oder Behandlungsplanung integriert sein. Da die Software in dieser Form der Fernbehandlung mehr Aufgaben übernimmt, ist es entscheidend, ihre rechtliche Einordnung zu klären, um sicherzustellen, dass sie den geltenden Vorschriften entspricht und die Sicherheit der Patienten gewährleistet. Unter bestimmten Umständen könnte diese Software als sogenanntes Medizinprodukt eingestuft werden, was bedeutet, dass sie strenge regulatorische Anforderungen erfüllen muss, um Sicherheit, Leistung und Wirksamkeit zu gewährleisten. 

Dieser Artikel analysiert die Unterscheidung zwischen Software, die ausschließlich zur Übertragung dient, und solcher, die gemäß der Europäischen Medizinprodukte-Verordnung (MDR) als Medizinprodukt betrachtet wird. 

Dafür stellt sich zunächst die Frage, ab wann asynchrone Fernbehandlungsangebote als Medizinprodukte gemäß der MDR eingestuft werden. 

Definition eines Medizinprodukts gemäß MDR 

Nach Art. 2 Nr. 1 MDR wird ein Medizinprodukt definiert als „ein Instrument, einen Apparat, ein Gerät, eine Software, ein Implantat, ein Reagenz, ein Material oder einen anderen Gegenstand, das dem Hersteller zufolge für Menschen bestimmt ist und allein oder in Kombination einen oder mehrere der folgenden spezifischen medizinischen Zwecke erfüllen soll:  

• Diagnose, Verhütung, Überwachung, Vorhersage, Prognose, Behandlung oder Linderung von Krankheiten,  

• Diagnose, Überwachung, Behandlung, Linderung von oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen,  

• Untersuchung, Ersatz oder Veränderung der Anatomie oder eines physiologischen oder pathologischen Vorgangs oder Zustands, […] 

und dessen bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird, dessen Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann.“ 

Diese Definition unterstreicht die Vielfalt der möglichen Medizinprodukte und hebt hervor, dass auch Software, die primär auf allgemeinen Geräten wie Computern oder Tablets betrieben wird, als eigenständiges Medizinprodukt anerkannt werden kann, wenn sie spezifische medizinische Zwecke erfüllt. In solchen Fällen spricht man von einer „Stand Alone“-Software, die als Software as Medical Device (SaMD) bzw. als Medical Device Software (MDSW) i.S.d. MDCG 2019-11 klassifiziert wird. 

Die Einordnung einer Software als Medizinprodukt hängt vor allem von ihrem spezifischen medizinischen Zweck ab, den der Hersteller festlegt. Neben diesem Zweck können auch Gebrauchsinformationen, Werbematerialien und insbesondere die tatsächliche Funktionsweise der Software zur behördlichen Einstufung als Medizinprodukt herangezogen werden. Diese Informationen sind entscheidend für die Einordnung.  

Die zentrale Frage ist, ob die Software eine aktive Rolle im medizinischen Entscheidungsprozess spielt und somit zur Diagnose oder Behandlung beiträgt. 

Software, die ausschließlich eine Chat- und Bildupload-Funktion bietet, qualifiziert sich in der Regel nicht als Medizinprodukt. Eine solche Plattform dient lediglich dem Austausch von Informationen und erfüllt damit nicht die spezifischen Anforderungen eines Medizinprodukts. Um als Medizinprodukt klassifiziert zu werden, muss die Software eine aktive Rolle in der medizinischen Diagnose oder Behandlung spielen. Dies schließt Funktionen wie die Analyse und Interpretation medizinischer Daten oder die Generierung spezifischer medizinischer Empfehlungen ein, die den therapeutischen Entscheidungsprozess des medizinischen Fachpersonals wesentlich unterstützen. 

Folgende Beispiele dienen als Software-Medizinprodukte: 

Beispiel Beschreibung 
Dermatologische Diagnose-Software Analysiert hochgeladene Bilder mittels Algorithmen oder künstlicher Intelligenz, um Diagnosen, Behandlungsempfehlungen und eine Risikoeinschätzung für Hautkrebs zu liefern. 
Diabetes-Management-Software Synchronisiert Daten von Blutzuckermessgeräten und Insulinpumpen, analysiert diese Daten und bietet personalisierte Einblicke und Empfehlungen zum Diabetes-Management. 
KI-gestützte Bildanalyse-Software Verwendet künstliche Intelligenz zur Analyse von medizinischen Bildgebungsdaten wie MRT und CT, um diagnostische Informationen für Radiologen bereitzustellen. 
Software für kardiologische Überwachung Ermöglicht Patienten die Überwachung ihrer Herzaktivität und die Übermittlung von EKG-Daten an ihren Kardiologen, insbesondere über tragbare EKG-Geräte. 

In allen genannten Beispielen werden die analysierten Daten und empfohlenen Behandlungsoptionen an die behandelnden Therapeuten weitergeleitet. Diese können die Informationen zu einem späteren Zeitpunkt mit den Patienten besprechen und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Somit handelt es sich bei ihnen allen um Medizinprodukte im Bereich der asynchronen Fernbehandlung. 

Fazit 

Die asynchrone Fernbehandlung bietet zahlreiche Vorteile, die sie für Patienten besonders attraktiv machen. Sie ermöglicht eine flexible Kommunikation, da Patienten und Ärzte nicht zur gleichen Zeit verfügbar sein müssen, was insbesondere für Menschen mit vollen Terminkalendern vorteilhaft ist. Zudem sparen Patienten Zeit, da keine Terminvereinbarungen oder Wartezeiten notwendig sind. Besonders in ländlichen Gebieten erleichtert sie den Zugang zu spezialisierten Fachärzten. Die schriftliche Dokumentation verbessert die Nachverfolgbarkeit und Kontinuität der Pflege. Darüber hinaus bietet die asynchrone Fernbehandlung Diskretion und Komfort, da Patienten ihre Anliegen von zu Hause aus klären können. Schließlich kann sie kosteneffizienter sein, da sie physische Arztbesuche und damit verbundene Reisekosten reduziert. Diese Faktoren machen die asynchrone Fernbehandlung zu einer flexiblen und effizienten Option für die medizinische Versorgung.  

Sie setzt die medizinischen Gesundheitsdienstleiter und die Softwareentwickler im Gesundheitswesen jedoch auch vor rechtliche Herausforderungen. Es ist es von großer Bedeutung, im Vorfeld sorgfältig zu überlegen, welche Rolle die verwendete Software einnehmen soll. Soll sie lediglich als Kommunikationsmittel dienen oder bereits aktiv zur therapeutischen Entscheidungsfindung beitragen, indem sie Empfehlungen oder Input liefert? Die Weiterentwicklung der Regulierungslandschaft wird entscheidend sein, um die Balance zwischen Innovationsförderung und Patientensicherheit zu optimieren. Die Einordnung und Gestaltung sollten rechtlich möglichst präzise erfolgen, da hieran ein erheblicher Teil des Weiteren regulatorischen Rahmens hängt. Unsere Erfahrung zeigt, dass häufig auch kreativere Rechtsgestaltungen herangezogen werden können, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen.  

Und was hat es nun zu bedeuten, wenn eine Software als Medizinprodukt eingeordnet wird? Dies wird im zweiten Teil, „Die Risikoklassifizierung von Software-Medizinprodukten“, genauer untersucht. Also, stay tuned! J  

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