Dammbruch Endbudgetierung von Hausärzten

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach plant, den Hausärzten in Deutschland mehr finanzielle Freiräume zu geben. Dies soll insbesondere dazu dienen, Wartezeiten und Engpässe in den Praxen zu vermindern. Lauterbach hat vorgeschlagen, die bisherigen Honorarobergrenzen aufzuheben, um sicherzustellen, dass alle erbrachten Leistungen in den Praxen von den Krankenkassen vergütet werden. Diese Maßnahme zielt darauf ab, den bürokratischen Aufwand zu verringern und die Hausarztpraxen von ökonomischen Zwängen zu befreien.

Die Aufhebung der Honorarobergrenzen für Hausärzte bezieht sich auf die finanzielle Begrenzung, die bisher für die Vergütung ärztlicher Leistungen durch die gesetzlichen Krankenkassen besteht. Hier sind einige Schlüsseldetails zu verstehen:

  1. Aktuelle Situation mit Honorarobergrenzen: Momentan gibt es in Deutschland ein System, in dem die Vergütung der Ärzte durch sogenannte Budgets mit Obergrenzen geregelt ist. Diese Budgets legen fest, bis zu welcher Höhe Leistungen eines Arztes oder einer Praxis innerhalb eines bestimmten Zeitraums (zum Beispiel eines Quartals) von den Krankenkassen vergütet werden. Sobald diese Obergrenze erreicht ist, erhalten die Ärzte für weitere Behandlungen innerhalb dieses Zeitraums keine zusätzliche Vergütung von den Krankenkassen, auch wenn sie weitere Leistungen erbringen.

  1. Probleme mit den aktuellen Obergrenzen: Dieses System kann dazu führen, dass Ärzte gegen Ende eines Abrechnungszeitraums möglicherweise weniger Patienten annehmen oder bestimmte Leistungen nicht mehr erbringen, da sie dafür nicht mehr vergütet werden. Das kann wiederum lange Wartezeiten für Patienten und eine potenziell unzureichende medizinische Versorgung zur Folge haben.

  1. Vorgeschlagene Änderungen durch Aufhebung der Obergrenzen: Die von Gesundheitsminister Lauterbach vorgeschlagene Aufhebung dieser Obergrenzen würde bedeuten, dass Hausärzte für alle erbrachten Leistungen bezahlt werden, unabhängig davon, wie viele Patienten sie behandeln oder welche Leistungen sie im Laufe eines Zeitraums erbringen. Das Ziel ist es, Anreize für eine umfassendere und flexiblere Patientenversorgung zu schaffen und gleichzeitig den administrativen Aufwand und die ökonomischen Zwänge zu reduzieren.

  1. Erwartete Auswirkungen: Durch diese Änderung erhofft man sich eine bessere und schnellere Versorgung der Patienten, da Ärzte motiviert werden, mehr Patienten zu behandeln und eine breitere Palette von Dienstleistungen anzubieten, ohne sich um die Erreichung einer Vergütungsgrenze sorgen zu müssen. Es wird auch erwartet, dass sich die Arbeitsbedingungen in den Praxen verbessern, da der Fokus weniger auf ökonomischen Faktoren und mehr auf der Patientenversorgung liegt.

  1. Finanzierung der Reform: Lauterbach hat angegeben, dass die Reform durch steigende Einnahmen der Krankenkassen finanziert werden kann, ohne dass es zu höheren Beitragssätzen für die Versicherten kommen muss.

Insgesamt ist die geplante Aufhebung der Honorarobergrenzen ein Schritt zur Entlastung der Hausärzte und zur Verbesserung der ambulanten medizinischen Versorgung in Deutschland.

Ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Gesetzesänderung ist die Einführung einer Jahrespauschale für erwachsene Versicherte mit chronischen Erkrankungen, die kontinuierlich Medikamente benötigen. Diese Pauschale soll beim ersten Kontakt im Jahr abgerechnet werden, was die Zahl unnötiger Praxisbesuche reduzieren und mehr Zeit für Behandlungen ermöglichen soll. Darüber hinaus soll eine sogenannte „Vorhaltepauschale“ eingeführt werden, die Praxen erhalten können, wenn sie bestimmte Kriterien wie Hausbesuche oder eine Mindestzahl an Versicherten in Behandlung erfüllen. Diese Pauschale soll Praxen, die besonders zur Versorgung beitragen, eine Förderung bringen.

Lauterbach plant, den Gesetzentwurf noch im Januar vorzustellen. Die Finanzierung dieser Reform soll durch die derzeit steigenden Einnahmen der Krankenkassen bei nahezu konstanten Beitragssätzen ermöglicht werden.

Während der Hausärzteverband die Pläne begrüßt, da sie den Ärzten eine „eins zu eins“ Bezahlung ermöglichen würden, kritisiert der Virchowbund, ein Berufsverband der niedergelassenen Ärzte, Lauterbachs Ansatz. Der Verband sieht darin einen Versuch, die Ärzteschaft zu spalten und wirft Lauterbach vor, auf diese Weise eine Zwei-Klassen-Medizin zu fördern.

Kommentar:

Der Vorstoß, die Honorarobergrenzen fallen zu lassen, ist ein System- und ein Dammbruch. Diese Budgets sind eine Fortentwicklung des Grundsatzes, dass der Arzt nur seinem Wissen und Gewissen unterworfen sein darf. Daher wurden Budgets festgesetzt, um die ökonomischen Anreize einer Leistungsausweitung zu unterbinden.

Dass die Budgets nun nicht mehr reichen, ist die eine Sache. Dass diese aber komplett entfallen, ist der erste lockere Stein in der Mauer einer planwirtschaftlich organisierten Gesundheit auf dem Bismarckeschen Betriebssystem. Nun soll die hausärztliche Versorgung wieder in die Lage versetzt werden, für Mehrleistungen auch bezahlt zu werden. Dies bedeutet zwangsläufig Leistungsausweitung aus ökonomischen Gründen.

Unabhängig davon, dass dies Zwiespalt in der Ärzteschaft säht, weil auch die Fachärzte gerne wieder für Mehrleistungen bezahlt werden wollen, ist dies der erste Samen einer marktwirtschaftlichen Komponente in unserem Gesundheitssystem, den wir über die vergangenen Jahre so krampfhaft versucht haben zu verhindern.

Jetzt kommt die Frage auf, wer soll denn nun die Leistungsausweitungen bezahlen? Langfristig werden die Mehreinnahmen der Krankenkassen ohne Beitragserhöhungen hier wohl nicht für herhalten können. Dieser von Lauterbach als “Entökonomisierung” verkaufte Schritt wird ein Eigentor in Sachen planwirtschaftliche Gesundheitswirtschaft. Der gebrochene Damm wird weitere Ärztegruppen auf den Plan rufen und die Forderung laut machen, weiter leistungsbezogen bezahlt zu werden. Finanzieren kann man dies nur, wenn der viel zu teure Plan schrittweise einem regulierten Markt weicht. Da kommt die Digitalisierung gerade recht. Vielleicht gelingt es ja noch, die Effektivierung durch digitale Abläufe und Steuerungen zu nutzen, um die neue Leistungsorientierung so zu steuern, dass diese auch bezahlbar wird.

Das wäre ein schöner Plan. Bis dahin ist dies ein erstes Signal für chaotische Zeiten im Gesundheitswesen.

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