Fallstricke der Klassifizierung: Lehren aus dem jüngsten Urteil!

Einleitung 

Die Klassifizierung von Medizinprodukten mittels der Medical Device Regulation (MDR) ist ein rechtlich anspruchsvolles Umfeld, das in der praktischen Anwendung keine Fehler oder Ungenauigkeiten verzeiht. Nach Regel 11 Klassifizierungsregeln der MDR gehört Software, die dazu bestimmt ist, Informationen zu liefern, die zu Entscheidungen für diagnostische und therapeutische Zwecke herangezogen werden, zur Klasse IIa, IIb oder III. Sämtliche andere Software, die nicht nach der obengenannten Regel in eine höhere Risikoklasse einzuordnen ist, gehört in die Risikoklasse I. Für Entwickler von Medizinprodukten hat diese Unterscheidung höchste Relevanz, da Medizinprodukte der Klasse IIa oder höher eine Konformitätsbescheinigung einer Benannten Stelle (TÜV, Dekra, etc.) benötigen, um in den Verkehr gebracht werden zu dürfen. Damit wird der Marktzugang deutlich schwerer, langwieriger und teurer. 

Der Streit zwischen zwei Start-Ups zeigt nun eindrucksvoll, dass es für die rechtliche Absicherung eines Medizinprodukts auf die sorgfältige und fachkundige Beachtung des entsprechenden Regulariums ankommt, da schon das Wording bei der Zweckbestimmung eines Produkts große Probleme bereiten kann. Der Teufel steckt, wie so oft, im Detail. 

Der Aufhänger des Problems: Ungenauigkeiten bei der Klassifizierung 

Der Streit dreht sich im vorliegenden Fall darum, ob eine auf dem Markt bislang sehr erfolgreiche Hautcheck-App fälschlicherweise der Risikoklasse I zugeordnet wurde, obwohl eine Einordnung in die Klasse IIa notwendig gewesen wäre. Einem Mitbewerber waren Ungereimtheiten zwischen der Klassifizierung und der Zweckbestimmung des Produkts aufgefallen. 

Auch wenn sich die Gerichte um die Auslegung des Begriffs „to provide“ streiten und anscheinend Uneinigkeit darüber herrscht, ob mit einer Lieferung dem Wortlaut der Regel 11 MDR nach auch „einfaches Liefern“ im Sinne einer bloßen Übermittlung von medizinischen Informationen ohne eigene diagnostische Auswertung/Bewertung/Analyse gemeint ist, geht es im Kern um etwas ganz anderes. Es kommt nicht darauf an, wie der Begriff auszulegen ist, um die Klassifizierung der App korrekt vorzunehmen. Hingegen sind es der Wortlaut der Zweckbestimmung und die Aussagen, die der Hersteller über sein Produkt getätigt hat, die einer Einordnung in die Risikoklasse I entgegenstehen und die Einordnung in eine höhere Risikoklasse gemäß der Regel 11 unvermeidbar machen. 

Die gesammelten und gespeicherten medizinischen Informationen stellen, wie der Entwickler der App selbst einräumt, in den weit überwiegenden Fällen die einzige Grundlage der ärztlichen Diagnose und Therapieempfehlung dar. Die App ist so programmiert, dass die Diagnoseeinschätzung des Patienten und seine Antworten Einfluss auf die im weiteren Verlauf gestellten Fragen und damit Einfluss auf die gelieferten Informationen, hier die Anamnese, haben. Die App liefert also, wie auch das OLG Hamburg richtig erkannt hat, das Ergebnis einer strukturierten Erhebung von Daten. 

In der Zweckbestimmung ist von einem Medizinprodukt zur „asynchronen Untersuchung von Hautveränderungen mittels Aufnahme, Speicherung, Anzeigen und Übermittlung von digitalem Bildmaterial von den betroffenen Hautarealen, sowie die Beantwortung eines Anamnesebogens und der Kommunikation (Chat) mit Fachärzten“ die Rede. 

Aus all diesen Aussagen, die der Entwickler zu seiner App getätigt hat und insbesondere auch aus der Zweckbestimmung ergibt sich ein klares Bild: Die App soll dem Arzt zur Diagnose von Hauterkrankungen dienen und liefert hierzu automatisiert qualitätsgeprüfte und relevante Informationen. Sofort fällt auf: Dieses Verständnis der Zweckbestimmung lassen sich problemlos unter den Normtext der Regel 11 fassen, nach der Software, die dazu bestimmt ist, Informationen zu liefern, die zu Entscheidungen für diagnostische oder therapeutische Zwecke herangezogen werden, der Klasse IIa zuzuordnen ist. 

Das OLG Hamburg hat somit völlig richtig entschieden, dass die Hautcheck-App fälschlicherweise als Medizinprodukt der Klasse I vermarktet wurde, obwohl eine Klassifizierung nach Klasse IIa notwendig gewesen wäre. Die App zu stoppen, war somit die einzig richtige Entscheidung. 

Vermeidung von Fehlern bei der Klassifizierung 

Es ist nachvollziehbar, dass Entwickler von Gesundheitsapps diese rechtlich sicher und nicht angreifbar in die Risikoklasse I einstufen möchten. 

Um eine Einordnung eines Medizinprodukts auf Grundlage der Regel 11 MDR in eine höhere als die Risikoklasse I zu vermeiden, müssen jedoch auch kleine sprachliche Details Beachtung finden. Insbesondere bei einem Produkt, das an der Grenze zwischen der Einordnung in Klasse I und Klasse IIa verortet werden kann, sollte man sich bei der Beschreibung seines Produkts mit anpreisenden Versprechungen zurückhalten und Schlagwörter wie Therapie oder Diagnose tunlichst vermeiden. Maßgeblich für die Einordnung in eine Risikoklasse ist nämlich nicht zwangsläufig das Produkt selbst, sondern die Zweckbestimmung, die der Hersteller dem Produkt zuweist. 

Zur Veranschaulichung soll ein vergleichendes Beispiel dienen: Praxissoftware in einer Hautarztpraxis, die dem Arzt Einblick in die Patientenakte gewährt, Bildmaterial von Hautveränderungen enthalten kann und schlussendlich auch bei der Diagnosefindung herangezogen wird, ist kein Medizinprodukt, geschweige denn eines, dass der Klasse IIa zuzuordnen ist. Der Unterschied zwischen dieser Software und der vom Gericht beanstandeten Hautcheck-App liegt nicht darin, dass die eine Daten zum Abruf bereithält und die andere die Daten „liefert“ – um noch einmal auf die Diskussion zur Auslegung der Begrifflichkeit zurückzukommen. Der Knackpunkt ist die Zweckbestimmung, welche die App zu einem Medizinprodukt macht und die Praxissoftware nicht. Die Praxissoftware ist schlichtweg nicht dazu bestimmt, Informationen zu liefern, die zu Entscheidungen für diagnostische und therapeutische Zwecke herangezogen werden.  

Die Praxissoftware verfolgt nur den Zweck, jederzeit Patientendaten bereitzustellen und abrufbar zu machen. Auch wenn der Arzt jederzeit auf die Daten zugreifen kann, wird er sich nicht unreflektiert auf das verlassen, was dort bereitgestellt wird. Der Arzt ist allein für die korrekte Diagnose verantwortlich, es erfolgt immer ein Double-Check. Dahingegen ist die Hautcheck-App darauf ausgelegt, dass in den allermeisten Fällen keine weiteren Rückfragen durch den Arzt stattfinden, sondern dieser die bereitgestellten Daten direkt für die Formulierung einer Diagnose- oder Therapieempfehlung übernimmt. Die Daten werden vorgefiltert, aufbereitet und unmittelbar für die Diagnosestellung verwendet. Der Arzt verlässt sich darauf, dass die Software, die ja immerhin ein Medizinprodukt ist, die Informationen korrekt zur Verfügung stellt. 

Diese Feinheiten wären bei sorgfältiger Beachtung der Regel 11 MDR bereits im Vorfeld der Klassifizierung aufgefallen. Die Zweckbestimmung hätte einzig den Transfer der Daten zur Überwindung der Distanz zwischen Arzt und Patient beschreiben dürfen, nicht jedoch die diagnostische Nutzung. Mit den ausschweifenden Versprechungen und Anpreisungen, die in der Zweckbestimmung, auf der Website und in den Nutzungsbedingungen gemacht wurden, wurden der Konkurrenz und dem OLG zahlreiche Argumentationsansätze an die Hand gegeben, um die Klassifizierung als Medizinprodukt der Klasse I in Frage zu stellen. 

Fazit und Ausblick 

Im Falle der Hautcheck-App wurde versucht, mit der Einordnung des Produkts in die Risikoklasse I den leichteren Weg zu gehen und ein teures und langwieriges Konformitätsverfahren zu vermeiden. Dieser Versuch hat sich durch eine der Risikoklasse nicht angepasste Zweckbestimmung ins Gegenteil verkehrt und einen langwierigen Rechtsstreit nach sich gezogen. Das Verbot der aktuellen Version der App gründet sich nicht in einer anders verstandenen Auslegung des Wortlauts der Regel 11 MDR, sondern schlichtweg in der zu optimistisch formulierten Zweckbestimmung, die die Grenzen dessen, was im Rahmen einer Risikoklassifizierung der Stufe I möglich ist, übersteigt. Mit etwas mehr Zurückhaltung hinsichtlich der ausgelobten Nutzungsmöglichkeiten hätte dieser Rechtsstreit mit großer Wahrscheinlichkeit vermieden werden können. 

Mit anderen Worten: Die Hautcheck-App hätte als Medizinprodukt der Klasse I auf dem Markt Bestand haben können, wenn man die Zweckbestimmung insbesondere hinsichtlich der Wortwahl sorgsam an die angestrebte Risikoklasse angepasst und der Konkurrenz und dem Gericht keine gegenteilige Argumentation an die Hand gegeben hätte. Ein Produkt, das in seiner Zweckbestimmung überschwänglich und umfassend zur Diagnosefindung angepriesen wird, dann jedoch durch den Entwickler nur in Risikoklasse I eingeordnet wird, wird völlig zu Recht über kurz oder lang auf Widerstand stoßen – in diesem Fall initiiert durch einen Konkurrenten. 

Da nun eine einstweilige Verfügung den Betrieb der App stoppt, reicht auch eine Änderung der Zweckbestimmung nicht mehr aus, um das Problem zu lösen. Für den Betreiber der App gibt es nun nur noch zwei Möglichkeiten, um das Geschäftsmodell auf dem Markt zu halten. Zum einen kann die App geringfügig verändert und mit angepasster Zweckbestimmung weiterhin als Produkt der Risikoklasse I vermarktet werden. Die andere, sehr kostspielige und langwierige Möglichkeit ist, die App und Zweckbestimmung so zu belassen und die Einstufung in die Klasse IIa anzustreben, mit der dann auch ein entsprechendes Konformitätsverfahren einherginge. 

So oder so: Die Entscheidung des OLG zwingt den Betreiber der Hautcheck-App, umgehend Maßnahmen zu ergreifen, um die App schnellstmöglich wieder verfügbar zu machen, finanzielle Einbußen zu verringern und das Vertrauen von Kunden und Investoren zu sichern. 

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