Ist die Apple Watch ein Medizinprodukt?
Was ein Medizinprodukt ist, definiert die EU-Medizinprodukteverordnung „MDR“ in Artikel 2. Darunter fallen demnach Instrumente, Apparate, Geräte und Software, die dem Hersteller zufolge allein oder in Kombination spezifische medizinische Zwecke erfüllen sollen. Dazu zählen etwa die Diagnose, Verhütung, Überwachung, Vorhersage, Prognose, Behandlung oder Linderung von Krankheiten, oder auch die Untersuchung eines physiologischen Vorgangs oder Zustands.
Medizinprodukte dürfen in der EU nur dann in den Verkehr gebracht, also verkauft werden, wenn sie den Anforderungen der MDR zur Sicherheit, Funktionstauglichkeit und Datenschutz entsprechen und diese Konformität nachweisen können. Gelingt der entsprechende Nachweis, kann das Produkt mit der CE-Kennzeichnung versehen werden, was die Verkehrsfähigkeit des Produktes bedeutet.
Die derzeit angebotene Apple Watch 7 verfügt über viele Funktionen, die den Bereich der Medizinprodukte-Definition durchaus berühren oder sogar erfüllen. So hat sie einen elektrischen Herzfrequenzsensor eingebaut, der in Verbindung mit der EKG-App ein Elektrokardiogramm (EKG) erstellen kann. Auf der Website wirbt Apple daneben insbesondere auch für das Feature „Mitteilungen bei unregelmäßigem Herzrhythmus“. Letzteres überwacht gelegentlich den Herzschlag des Anwenders, um ihn auf einen unregelmäßigen Rhythmus zu überprüfen, bei dem es sich um Vorhofflimmern handeln könnte und gibt diesem dann eine entsprechende Warnung aus. Die EKG- und Herzrhythmus-Software sind in der EU separat als Medizinprodukte der Risikoklasse Im (Medizinprodukte mit Messfunktionen) nach der MDD (der Vorgängerregelung zur MDR) zugelassen und profitieren als MDD-Produkte zunächst von der Übergangsfrist bis zum 26. Mai 2024.
Die gesamte Uhr ist allerdings nicht als Medizinprodukt zertifiziert. Hintergrund ist wohl, dass diese dann als Medizinprodukt mit Messfunktion zertifiziert werden müsste, was einen erheblichen Mehraufwand gegenüber der Zertifizierung eines Klasse I-Produkts bedeuten würde. So muss der Hersteller eines Medizinproduktes mit Messfunktion zwingend eine Benannte Stelle (z.B. den TÜV) einschalten und ein Konformitätsbewertungsverfahren nach Anhang II, IV, V oder VI MDR anwenden. Die Benannte Stelle muss in diesem Rahmen prüfen, ob die besonderen messtechnischen Anforderungen erfüllt sind. Dieses Verfahren kostet zusätzliches Geld, was für Apple zwar kein Problem sein dürfte, aber eben auch unwägbare Zeit und könnte damit den geplanten Launch eines neuen Produktes zum nächsten Weihnachtsgeschäft torpedieren.
Gehört ein Produkt hingegen ohne Messfunktion hingegen Klasse I an, ist eine Zertifizierung ohne Benannte Stelle möglich. Hier muss der Hersteller lediglich erklären, dass sein Produkt mit den Anforderungen der MDR übereinstimmt (Selbstkonformitätsbewertung). Natürlich kann die MDR-Konformität, welche der Hersteller in diesem Rahmen erklärt, im Wege einer behördlichen Prüfung überprüft werden. Dennoch kann der Hersteller hier erst einmal vergleichsweise flexibel und autark agieren.
So hat Apple die App (EKG) und die Softwarefunktion (Herzrhythmus) separat als Klasse I-Softwareprodukte zertifiziert. Software, wie z.B. eine App, kann allein und für sich genommen ein Medizinprodukt sein (Software as a medical device = SAAMD). Damit diese als separates Produkt eingeordnet werden kann, darf sie aber nicht die fest installierte Betriebssoftware eines physischen Medizinproduktes sein (z.B. die Betriebssoftware eines EKG-Gerätes). Denn dann spricht man von Medical Device Software und das Produkt muss als gesamtes zertifiziert werden.
Würde Apple also die Apps untrennbar (unlöschbar) mit der Watch verbinden, müsste man die App wohl als Betriebssoftware eines Medizinproduktes ansehen. Damit wäre die gesamte Uhr selbst zu zertifizieren, und zwar als Produkt mit Messfunktion unter Einschaltung einer Benannten Stelle. Offenbar hat Apple deshalb reagiert und um eine Zertifizierung der gesamten Uhr zu vermeiden ermöglicht, dass die EKG-App nun gelöscht werden und die Herzrhythmusfunktion deaktiviert werden kann. Demnach ist die Verkehrsfähigkeit der Uhr MDR-konform. Man kann hier durchaus kritisieren, dass die Trennung zwischen der nicht zu zertifizierenden Messfunktion in der Watch und der zu zertifizierenden App, welche ja maßgeblich auf die (genauen) Messdaten der Hardware angewiesen ist, etwas gekünstelt wirkt. Die MDR lässt diesen Weg aber bei entsprechender Trennbarkeit von Software und Gerät genau so zu.
Klar ist aber auch, dass Apple immer weiter in den Markt der Gesundheit vordringen will. Dieser Markt der digitalen und mobilen Gesundheitsanwendungen erlebt derzeit einen kontinuierlichen Aufschwung und ist für die Tech-Unternehmen aus dem Silicon Valley perspektivisch äußerst interessant. Auf frühe oder lange Sicht wird Apple um eine „volle“ Zertifizierung einiger ihrer Geräte wohl nicht herumkommen und entsprechende Zeit für externe Audits bei Benannten Stellen einplanen müssen. Der Verbraucher erhält dann aber auch ein entsprechendes umfangreich zertifizierter Produkt und perspektivisch immer bessere und genauere Funktionen zur Gestaltung seiner Gesundheit.