Die Corona-Warn-App vom Robert-Koch-Institut wurde bislang 17,5 Millionen Mal heruntergeladen und übertrifft damit alle Erwartungen.[1] Ende Juli wurde jedoch bekannt, dass sowohl bei der Android-Version als auch auf der iOS-Version der staatlichen Corona App der Datenaustausch im Hintergrund unterbrochen war und die App dadurch wochenlang nicht vollumfänglich funktionierte. Das Programm aktualisierte sich oftmals nicht selbst und die Daten über neue Infektionen wurden ohne aktives Öffnen der App nicht aktualisiert. Als Reaktion darauf empfohlen selbst die Entwickler den Nutzern der App, diese einmal täglich aufzurufen, um ein Update der Informationen sicherzustellen. Mittlerweile wurden diese sogenannte „Bugs“ mit einem Update behoben und die Funktionsweise der App transparenter gemacht.[2]

Zusätzlich hat Apple als Reaktion darauf in seiner neuen IOS Version, die ab jetzt bereitsteht, die Tracing Funktion tiefer in das Betriebssystem integriert. Damit soll es mit IOS 13.7 möglich sein, Warnungen über mögliche Kontakte mit Covid-19-Infizierten zu erhalten, ohne dafür die Corona-Warn-App heruntergeladen haben zu müssen. Allerdings kann das neue Update auf iOS13.7. seitens Apple keine Information über eine Corona Infektion weiterleiten. Dies bedeutet, dass wenn ein Nutzer positiv auf Covid-19 getestet wurde und andere App Nutzer informiert werden sollen, kein Weg an dem Download der Corona-Warn-App vorbeiführt.[3]

Solche Kinderkrankheiten durchlebt jede App. Aber ist es wirklich berechtigt bei den hohen Entwicklungspreis von 20 Millionen Euro und der laufenden Kosten von 2,5 bis 3,5 Millionen Euro im Monat?[4]

 

Qualitätsmanagement nötig?

Doch an dieser Stelle kann man sich die Frage stellen, ob mit den aufgetretenen Bugs, die nicht unwesentlich waren und die Nutzer der App in Sicherheit gewogen haben, dass die Tracing-Funktion einwandfrei funktioniert, ein Qualitätsmanagement seitens der App-Entwickler notwendig sein müsste. Und müssten die Anforderungen an ein solches Qualitätsmanagement nicht sogar diejenigen Standards sein, die für Medizinprodukte gelten?

Ein Qualitätsmanagementsystem ist gerade in der Medizinprodukteindustrie unerlässlich. Medizinprodukte haben den Anspruch an sich selbst und vor allem der Sicherheit der Patienten und Anwender wegen, besonders zuverlässig und sicher zu sein. Dazu müssen Hersteller alle eventuellen Sicherheitsrisiken ihrer Produkte kennen und entsprechend auf ein Minimum reduzieren. Ein solches QM-System soll die Prozesse in einem Unternehmen dabei insoweit optimieren, dass solche Fehler und Risiken erkannt werden und entsprechend vermieden werden können.

Die maßgeblichen Vorschriften und Anforderungen an ein solches Qualitätsmanagement im Bereich von Medizinprodukten in Europa finden sich in der EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) und in der ISO 13485. Die MDR fordert insoweit ein zertifiziertes Qualitätsmanagement-System von Medizinprodukteherstellern. Die ISO 13485 ist die zur MDR harmonisierten Norm, die die Anforderungen an das Qualitätsmanagement und an ein Qualitätsmanagement-System stellt. Die ISO hat das Ziel, die Qualität medizinischer Produkte zu erhalten und zu verbessern. Um die Zertifizierung zu erhalten, muss das QM-System diese Anforderungen zwingend erfüllen.

 

Klassifizierung als Medizinprodukt?

Entscheidend zur Beantwortung der Frage, ob die Corona App nicht eigentlich ein Qualitätsmanagementsystem besitzen müsste, und ob die strengen Anforderungen der ISO 13485 zur Anwendung kommen müssten, ist, ob die App nicht als Medizinprodukt zu klassifizieren ist.

Die gesetzliche Definition des Medizinprodukts ist in § 3 Gesetz über Medizinprodukte (MPG) geregelt. Dazu kann auch „Software, einschließlich der vom Hersteller speziell zur Anwendung für diagnostische oder therapeutische Zwecke bestimmten und für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinproduktes eingesetzten Software, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels ihrer Funktionen zum Zwecke

  1. a) der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten,
  2. b) der Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen,
  3. c) der Untersuchung, der Ersetzung oder der Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs oder
  4. d) der Empfängnisregelung

zu dienen bestimmt sind und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann,“ zählen.

Entscheidend ist somit die Zweckbestimmung und die Funktionalität. Das Produkt muss einen oder mehrere medizinische Zwecke verfolgen. Bei Medical-Apps spielt insbesondere die Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten nach lit. a) eine Rolle.

Die Corona-Warn-App ist ihrer offiziellen Beschreibung nach eine App, die dabei helfen soll, die Nutzer „anonym und schnell darüber zu informieren, wenn sie sich in der Nähe eines Infizierten aufgehalten haben und daraus ein Ansteckungsrisiko entstehen kann. Dadurch soll eine Infektionsketten schneller unterbrochen werden können. Der bislang noch manuelle Prozess der Nachverfolgung von Infektionen soll durch diese digitale Hilfe stark beschleunigt werden.[5]

Entscheidend für die Einordnung als Medizinprodukt ist, ob die Corona-App dazu entwickelt wurde Covid-19 bei dem App-Nutzer zu erkennen, zu überwachen oder zu behandeln. Insbesondere über den Punkt des Erkennens muss nachgedacht werden. Bei genauerem Hinblick und der Arbeitsweise der App wird deutlich, dass die App nicht dafür gedacht ist, Covid-19 Symptome zu erkennen. Vielmehr wurde die App dafür entwickelt mögliche Kontakte mit einem positiv auf Covid-19 Getesteten zu erkennen und dadurch lediglich die Infektionskette zu durchbrechen bzw. nachzuverfolgen, indem die App andere Smartphones in der Nähe erkennt, auf denen die App ebenfalls aktiviert ist.

Schwierig wird es jedoch ab dem Moment, wenn der zufällig generierte Bluetooth-ID-Code (Zufallscodes) für eine begrenzte Zeit gespeichert wird und die App bei Eingabe des Nutzers, dass er positiv getestet wurde, diejenigen Nutzer, die einen längeren Kontakt zu dem Infizierten hatten, darüber informiert werden. In diesem Moment wird auf die vom Nutzer eingegebenen Daten Einfluss genommen. Die App analysiert die eingegebenen Daten, hier in Form eines positiven Testergebnissen, und bewertet anschließend die im Hintergrund gesammelten Bluetooth-IDs darauf, ob der Infizierte längeren Kontakt zu einem der Nutzer in seiner Nähe hatte. Ist dies der Fall gewesen, bekommt derjenige eine Nachricht, mit dem Hinweis, dass er längeren Kontakt zu einem infizierten hatte und sich entsprechend testen lassen soll.

Insoweit geht die Leistungen der Corona-Warn-App über die reine Dokumentation und Datenspeicherung hinaus. Die im Hintergrund gesammelten Bluetooth Daten werden dazu genutzt, die vom Nutzer aktiv eingegebene Information des positiven Testergebnisses zu überwachen und zu analysieren.

Im Ergebnis geht die Corona App somit grundsätzlich über eine reine Dokumentations- und Datenspeicher-App hinaus. Ob der weitergehende Zweck eine medizinische Relevanz mit sich bringt, die zu einer notwendigen Zulassung der App als Medizinprodukt führt, soll hier nicht weiter vertieft werden. Sicherlich gibt es hier einen Beurteilungsspielraum. In jedem Fall sollten die Hersteller und auch die Verantwortlichen für diese wichtige App die qualitativen und risikominimierenden Voraussetzungen einer Medizinproduktzulassung nicht scheuen, unabhängig davon, ob es sich nun tatsächlich um ein Medizinprodukt handelt.

Würde man die Corona-Warn-App als Medizinprodukt qualifizieren, wäre entsprechend ein Qualitätsmanagementsystem nach ISO 13485 ein Risikomanagement, eine klinische Bewertung und eine umfangreiche technische Dokumentation von Nöten. Aber warum sollte man diese sinnvollen Kontrollen und Dokumentationen von der Notwendigkeit einer Zulassung als Medizinprodukt abhängig machen. Alle diese Prozessoptimierungen und Absicherungen können auch ohne die akute Zulassung als Medizinprodukt erbracht werden. Dieses wäre nicht zuletzt dadurch zu untermauern, dass die Corona App aufgrund ihrer enormen Downloadzahl von knapp 18 Millionen Menschen eine große Bedeutung in der alltäglichen Eindämmung der Pandemie eingenommen hat.

Es wäre damit durchaus sinnvoll, wenn die Corona-App zumindest „wie“ ein Medizinprodukt qualifiziert werden würde und dies auch zur Vertrauensgewinnung nach außen getragen würde. So könnten eventuelle Fehlfunktionen oder weitere Anwendungsprobleme auch besser im Vorhinein erkannt werden und die Aufmerksamkeit auf Risiko und Qualität der App würde gestärkt. Hierfür gibt es im Markt bereits anerkannte Verfahren und Experten, die mit diesen Qualifikationen bereits weitreichende Erfahrungen gemacht haben. Sich einfach darauf zu stützen, dass die Corona-App kein Medizinprodukt ist, wird der Bedeutung der entsprechenden Funktionen für unsere Gesellschaft nicht gerecht.

 

[1] Stand 1. September 2020; https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/WarnApp/Kennzahlen.pdf?__blob=publicationFile

[2] https://www.sueddeutsche.de/digital/corona-warn-app-tracing-zwischenfazit-1.4972736

[3] https://www.fr.de/wissen/corona-warn-app-download-covid-19-android-fehler-funktion-kosten-google-apple-berlin-zr-13799699.html

[4] https://www.sueddeutsche.de/digital/corona-warn-app-kosten-1.4933470

[5] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/corona-warn-app/unterstuetzt-uns-im-kampf-gegen-corona-1754756